Lange Nacht in Langen

(22.10.2016) Es tut mir leid - und das ist keine Floskel - aber ich muss diesen Blog-Beitrag schreiben. Normalerweise gilt ja die Regel, nach der man nichts sagen soll, wenn man nichts Positives sagen kann. Aber hier stehe ich, ich kann nicht anders.
Ich war gestern Abend mit meiner werten Frau Gemahlin in Langen bei der Show "Magic Moments - Marvin's Magic Show meets friends" deren Headliner der Zauberer Marvin Seib war - ich habe keine Webseite gefunden, sondern nur eine Facebook-Seite. Um es kurz zu machen: Wir waren massiv enttäuscht.

Beginnen wir mit der Organisation - oder dem Fehler derselben. Es beginnt nämlich damit, dass es nicht beginnt, jedenfalls nicht pünklich. Man gönnt sich eine solide Viertelstunde Verspätung, während derer alle möglichen Leute aus dem Zuschauerraum auf die Bühne gehen, hinter dem Vorhang verschwinden, wieder auftauchen und kurz durch den Vorhang lugen. Überhaupt: Der Vorhang! Mehrfach werden die Akteure von seinem Öffnen oder Nicht-Öffnen oder Schließen überrascht, müssen noch schnell einen Ausfallschritt machen, um davor zu bleiben oder dahinter zu verschwinden. Gerne wird auch mal der Kopf durch den Vorhang nach hinten gestreckt, um zu prüfen, ob die nächste Nummer schon fertig aufgebaut ist und es im Programm weitergehen kann - mit dem Rücken zum Publikum. Während der Nummern ist manchmal nur ein sehr kleiner Teil der Bühne ausgeleuchtet; der Künstler tut einen Schritt zur Seite und steht im Dunkeln. Requisiten oder Instrumente (s.u.) liegen nicht bereit, Künstler wandern auf der Bühne hin und her um "ihr Zeug" zu finden, einer geht sogar einen Moment von der Bühne ab, um noch "schnell was zu besorgen". Das alles trägt dazu bei, dass es sich etwas zäh und langsam anfühlt - und das ist es objektiv auch. Wir verlassen kurz vor 23:00 Uhr den Saal während die Vorstellung noch im vollen Gange ist.

Die Programmgestaltung ist - nun ja, sagen wir mal: Ungewöhnlich. Wenn ich die Show eines Zauberers besuche, in deren Titel das Wort "Magic" zweimal verwendet wird, dann erwarte ich im wesentlichen Zauberei. Bekommen habe wir eine Aufführung, die zu höchstens einem Drittel aus Zauberei bestand und zu zwei Dritteln aus acts wie Bauchreden, quick change, Akrobatik an doppelten, vertikalen Stoffbahnen - und Gesinge. Es treten mehrfach adrette junge Herren auf - Anfang 20, wenn ich schätzen müßte - und geben gesanglich Dinge zum Besten, die wahrscheinlich in den ersten Runden von "Deutschland sucht den Superstar" ganz gut ankommen würden. Sie singen nicht "Oh, oh, oh, it's magic, you know - never believe it's not so [...]" (siehe z.B. hier) und so erschließt sich mir der innere Zusammenhang zur Zauberei nicht, aber Bitteschön: Ich bin ein alter Sack, was weiß ich schon. Für mich hat das ganze die Anmutung eines bunten Abends bei Elektro Müller zum Sommerfest: "Und jetzt kommt Frau Meier aus der Buchhaltung und spielt "Hells Bells" auf der Zieharmonika".
Aber: Wer Zauberei sehen will, kommt genausowenig auf seine Kosten, wie jemand, den die Musik interessiert. Und auch das muß gesagt sein: Bauchreden und quick change sind nach meinem Empfinden schon irgendwie der Zauberei ein wenig anverwandt, weil die Überschrift immer ist: Wie macht er/sie das denn? Meine Frau war da viel strenger: Keine Zauberei, keine Daseinsberechtigung in dem Programm.

Was die Zaubernummern angeht, so war der Gastauftritt von Ulf Bürger eindeutig der Höhepunkt: Gut choreographiert, unterhaltsam, klar strukturiert, sehr saubere Technik. Der im Veranstaltungstitel namentlich genannte Meister selber: Da ist Luft nach oben ... Es scheint mir die Wurzel des Übels zu sein, dass Herr Seib Effekt an Effekt reiht - er selber spricht von Tricks - ohne dass es einen Hintergrund, eine Motivation oder einen roten Faden gäbe. Sein Sprechpart ist rein deskriptiv: "Jetzt kommt der nächste Trick - ich stelle die Flasche hier auf die Hand - ich schreibe eine Vorhersage auf - ich gehe jetzt hier herüber ... Es tut mir leid: Aber das ist belanglos. Das gilt auch für die Bühnenillusionen, die zur Musik gezeigt werden: Origami, Zig-Zag, gefesselte Assitentin im Zuschauerjacket, schwebender Tisch. Das paradoxe ist, das die einzige Nummer, die aus diesem Schema auszubrechen versucht, noch schlimmer ist. Es ist eine Variante des Hindu-Fadens, die er mit einem Kollegen/Freund vorführt. Das Narrativ (ich habe ein neues Wort gelernt, das muss sich jetzt amortisieren): Als Kind war ich furchtlos und meine Phantasie hat mir alles erlaubt, heute bin ich erwachsen und habe all das verloren, aber die Zauberei gibt mir die Kindlichkeit zurück. Alles sehr poetisch, sehr schön, sehr tiefsinning. Aber was nützt es denn, wenn Herman van Veen die Texte schreibt, aber die Ausführenden die Ausdruckskraft von Costa Cordalis haben?

So, jetzt habe ich mich ausgekotzt, aber es tut mir - schon wieder - leid: Ich weiß genau, wieviel Arbeit da drin steckt, wieviel Vorbereitung, wieviel Herzblut, wieviele Ideen und wie gut alles gemeint war, aber ich habe es so erlebt, wie ich es geschildert habe.